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BeitragVerfasst: Mi 5. Aug 2009, 13:29:02 
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Cirrus
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Registriert: So 14. Sep 2008, 00:08:35
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Am 30.7. stand in Norddeutschland ein Wettertag an, der vielleicht nicht die ganz großen bemerkenswerten Unwetter brachte, aber im Detail doch, vor allem für den Sommer interessante Strukturen einer Gewitterlage. Der Gewittertag teilte sich in zwei Schwerpunkte auf. Am frühen Morgen zog eine sehr dynamische Kaltfront über den Nordwesten Deutschlands hinweg. Diese trat als bemerkenswert starkes und geschlossenens skaliges Niederschlagsband auf und war nicht wirklich typisch sommerlich. Gegen Abend zog dann im postfrontalen Trogsektor eine Konvektionsstaffel mit einer möglichen Superzelle am Südrand über Hamburg hinweg. Hier wurden verdächtige Aufwindstrukturen und Hagel gemeldet, zudem traten verdächtige Radarsignaturen auf. Auf diese beiden Schwerpunkte soll hier nun eingegangen werden anhand von Kartenmaterial, Radarbildern, Wasserdampfbildern und teilweise auch Beobachtungen. Daher wird dieser Rückblick weder reinen dokumentarischen, noch reinen analytischen Charakter haben, sondern so ein Zwischending. Legen wir los:

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Beginnen wir mit dem Blick auf die Ausgangslage in der Nacht auf den 30. Juli. Die Großwetterlage wird bestimmt von einem Tief über dem Nordatlantik mit kern bei Island, welches sowohl am Boden, als auch in der Höhe ausgeprägt ist. Als Gegenspieler hat dieses tief einen eher schwachbrüstigen Hochdruckkeil über Osteuropa, so dass die Ausläufer des Islandtiefs keine große Mühe haben nach Mitteleuropa vorzudringen. An seiner Südflanke ist das, ich nenne es jetzt mal Zentraltief sehr aktiv, mehrere z.T. markante Kurzwellentrögeund Randtiefs werden hier rasch nach Westen gelenkt. Für sommerliche Verhältnisse hat sich hier eine sehr dynamische Westsrömung aufgebaut. Auf Mitteleuropa zieht in der Nacht auf den 30.7 so eine sehr dynamische Kombination aus markantem Bodentief und scharfem Kurzwellentrog zu. Auf dem Atlantik spielt sich derweil ein Prozess ab, der später für den zweiten Abschnitt des markanten Wettertages wichtig wird. Das kräftige Randtief über dem Mittelatlantik, welches schon fast die Verbindung zum „Zentraltief“ gekappt hat und sich langsam eigenständig macht, schaufelt auf seiner Vorderseite fleißig subtropische Warmluft nach Norden. Dies wölbt einen kleinen Keil in der Höhe auf, welcher wiederum durch leichte KLA auf seiner sich durch die WLA auf der Rückseite verschärfenden Vorderseite für die Vertiefung eines kleinen Kurzwellentroges bei Irland sorgt. Dieser Trog wird, genährt von der leichten KLA weiter Richtung Mitteleuropa schwimmen und dort eine Rolle im schon angesprochenen zweiten Akt des Tages spielen. Zunächst aber zum Tief Nr. 1 über der Nordsee.

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Dieses Tief ist zum Ausgangszeitpunkt dieses Rückblicks im Begriff mit seiner Kaltfront auf Westdeutschland überzugreifen. Hierbei ist (mir) nicht ganz klar, wo sich die Kaltfront genau befindet. Aufgrund der Vorgeschichte ist dies auch nicht ganz so einfach zu identifizieren. Das neue Teif hat eine Okklusion reaktiviert und wieder einen Kalt- und Warmfontteil erzeugt. Hierbei wurde eine über Mitteleuropa lagernde, feucht-warme Luftmasse in den Warmsektor mit einbezogen. An der Westgrenze dieser ist auch ein starker Theta-E-Gradient vorhanden, allerdings ist die ursprüngliche Kaltfront am Theta-E-Gradient der alten Okklusion platziert, da wo ich sie nun eingezeichnet habe. Allerdings wäre auch die gestrichelt eingezeichnete Linie als Kaltfront denkbar, auch wenn dies eigentlich nicht zur Entstehungsgeschichte des Tiefs passsen würde. Mit der Annäherung der Front und des markanten Kurzwellentroges (positive Vorticityadvektion) wird die feucht-labile Luft in Westdeutschland nun aktiviert.

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Ab Mitternacht entstehen im Westen rasch zahlreiche Zellen, die laut Beobachtungen im Forum auch sehr blitzreich waren. Diese ziehen mit durchschnittlichem Tempo nach Nordnordost. Welche Zellen hierbei bereits zur Kaltfront gehören und welche noch knapp vorlaufend ausgelöst werden ist hier noch nicht wirklich ersichtlich. Ganz im Norden über Schleswig-Holstein sieht man noch die sehr schwachen Echos der eindringenden Warmluft. Niederschlag gab es keinen, allerdings eine sehr stark spürbare Zunahme der Lufttemperatur- und Feuchtigkeit mitten in der Nacht. Die Temperaturen bewegten sich hier nun noch nahe 20°c um 01:00 Uhr nachts!

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Um 3 Uhr hat sich die gesamte Gewitterzone noch etwas aufgeplustert und verdichtet. Von einigen noch eher versteuten „Zellenhaufen“ vollzieht sich nun die Umwandlung in eine linienförmige Struktur. Die Kaltfront ist deutlicher zu erkennen und als kräftiges Starkregenband mit eingelagerten Gewittern zu identifizieren. Was verursacht nun diese Umwandlung, bzw. rasche Strukturierung?!

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Hierzu ein Blick auf die Lage am Donnerstag Morgen. Der Kurzwellentrog hat sich noch weiter verschärft und liegt nun mit seiner recht scharf gekrümmten Achse über der Deutschen Bucht bis zum Erzgebirge. Auf der Vorderseite liegt nun knapp die Kaltfront über Schleswig-Holstein. Wie steht nun das Potential für lineare Entwicklung an der Front? Für so eine Entwicklung braucht man grob zwei Faktoren, einen kräftigen Trog mit markanter PVA auf der Vorderseite und krätfige Winde in mittleren und tiefen Schichten. Hier ein Blick auf diese Faktoren.

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Zunächst die PVA. Wie auf dieser Karte ersichtlich treibt der scharf gekrümmte Trog ein extrem starkes Vortmax vor sich her. Da die höchste Stufe der Skala großflächig erreicht wird kann man als Maximum von noch höheren Werten ausgehen. Kräftige bis extreme PVA ist also vorhanden. Aber nicht nur von dieser Seite kommt hebende Unterstützung für die Front.

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Auf der Südseite des zentralen Höhentiefs bei island hat sich ein für die Sommerzeit markanter „jetstreak“ ausgebildet. Dieser verläuft bereits bogenförmig nach Westdeutschland hinein, so dass Schleswig-Holstein und die Kaltfront dort unmittelbar im linken Jetauszug liegen. Wie in der Karte zu sehen verursacht dies Divergenz in der Höhe, d.h. Konvergenz und Hebung in tiefen Schichten. Von der Hebung her hat die Front also keinen Mangel zu befürchten.

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Aufgrund des sich stark entwickelnden Tiefs, welches vom Boden bis in mittlere Höhen einen starken Gradienten erzeugt ist auch das Windangebot in diesen Schichten reichhaltig. Diese Windzunahme entwickelte sich im Laufe der Nacht besonders stark an der Südflanke des Tiefs, wo sich ein richtiges Sturmfeld ausbilden konnte. Eher ungewöhnlich für sommerliche Tiefdruckentwicklungen, möglich gemacht durch die hohe Dynamik. PVA und starker Wind in tiefen/mittleren Schichten sind also vorhanden, die Umwandlung der Front von verstreuten Clustern in ein kräftiges, gewittriges Starkregenband die logische Folge. Aber Hebung und Feuchte sind ja nicht alles, da ist ja noch die Labilität. Und die ist ja bekanntlich gegen frühem Morgen eigentlich eher im vom Jörg Kachelmann viel zitierten „decrescendo“. Daher betrachten wir nun auch noch die Labilität.

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Erste Station um sich einen schnellen Überblick über die potentielle Labilität zu schaffen ist der KO-Index. Unwillkürlich zieht aber erst mal die markante Hebung über dem Zielgebiet bis hoch nach Südnorwegen den Blick auf sich. Hier leisten der Kurzwellentrog und der linke Jetauszug „gute“ Arbeit. Der zweite Blick auf die Karte: ja, potentiell ist die Schichtung labil und durch die Hebung wird sie auch akut labil. Nun kann man sich nach Genießen dieser Karte entweder über die vorhandene Labilität ärgern oder freuen und dann den Computer ausmachen, oder sich weiterführend fragen, warum die Schichtung denn überhaupt labil ist? Als guter Hobbymeteorologe wählt natürlich jeder hier Variante 2. ;) Schauen wir mal auf die 500 hPa-Temperaturkarte.

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Auf der Südflanke des zentralen Höhentiefs ist recht großflächig für Sommer kalte Höhenluft aktiv (-20°c bis unter -25°c in 500 hPa). Eine kurze dazwischenfunkende Bemerkung bezüglich des zweiten Troges, der mittlerweile Irland erreicht hat besagt, dass auffällig ist, dass er sich in der höhenkältesten Luft befindet. Hier deutet sich also für den Abend bereits für den vorausschauenden Hobbymeteorologen eine konvektionsfreudige Mischung aus Trogvorderseite und labiler Höhenkälte an. Entscheidend für die Labilität an der Front ist nun aber, wie rasch die Höhenkaltluft mit einfließt und ob diese die Front sogar überströmt. Letzteres ist hier sogar der Fall. Die -20°c Isotherme überflügelt leichtfüßig in 500 hPa die Höhentrogachse und legt sich über die Bodenkaltfront. Da vor der Bodenkaltfront die Warmluft natürlich noch nicht ausgeräumt ist, ergibt sich hier ein sehr labiler vertikaler Temperaturgradient zwischen kalter Höhenluft und feucht-warmer Bodenluft. Findet nun an der Vorderkante der Kaltfront Konvektion statt hat diese hervorragende Bedingungen hoch hinaus zu schießen. Aber dies ist hier auch wieder nur die halbe Wahrheit bezüglich der Labilität. Hier funkt nun noch ein Prozess dazwischen, der nun in dieser Ausprägung nicht wirklich typisch ist, der trockene Oberstrom („dry intrusion“). Hierbei wird auf der Rückseite der Zyklone auf der kalten Seite des „jetstreams“ ein Strom trockener Stratosphärenluft in tiefere Schichten advehiert („dry slot“). Legt sich diese sehr trockene Luft nun über die feucht-warme Luft am Boden baut sich potentielle Labilität auf, die durch trogvorderseitige Hebung freigesetzt werden kann. Die Frage ist nun also, ob sich bei dieser sehr dynamischen Zyklone ein kräftiger „dry slot“ bilden kann und ob dieser in den Kaltfrontbeeich vordringen kann und dort die Labilität steigern. Die Karte der „isentropen potentiellen Vorticity“ (IPV), an der man die potentielle Bildung eines „dry slots“ erkennen kann ist leider nicht im wetter3-Archiv verfügbar, es sie aber gesagt, dass diese sehr markante Anzeichen eines „dry slots“ zeigte, der auch bis zur Kaltfront vordringen sollte.

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Zur akuten Identifizierung eines „dry slots“ eignet sich am besten die Darstellung von EUMETSAT, in der Luftmassen nach ihren charakteristischen Eigenschaften farblich gekennzeichnet sind. Die trockene Stratosphärenluft erscheint hier rot bis pink. Schön zu sehen ist hier der langgezogene, für Sommer prächtige „dry slot“ von Irland über die südliche Nordsee bis nach Schleswig-Holstein, von wo er sich langsam Richtung Tiefzentrum wickelt. Hierbei überlagert er auch den mächtigen Cirrenschirm der Kaltfront, welche sich markant über Schleswig-Holstein und der Nordsee abbildet. Durch den „dry slot“, die Höhenkaltluft, den Kurzwellentrog und den linken Jetauszug werden der Kaltfront also nahezu perfekte Bedingungen gegeben, der einzige, dafür aber natürlich gewichtige hemmende Faktor ist die Tageszeit. Wäre die Kaltfront am späten Nachmittag in so ein Setup hereingerausch wäre da sicher vor allem gewittermäßig noch mehr passiert. Nun aber stellt sich das Radarbild am frühen Morgen so dar.

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Von der Nordsee bis nach Hannover hatte sich an der Front ein markantes Starkregenband gebildet. Daran schlossen sich über Mitteldeutschland wieder eher unorganisierte Zellen an. Dies ist der hier nachlassenden Dynamik geschuldet, der Wind in den mittleren Schichten sowie die PVA war hier abseits des Paares Höhentrog/Bodentief sehr viel geringer. Interessant nun noch zweierlei Sachen. Einmal für die Allgemeinheit die direkt im Anschluß an die Front wieder einsetzende Konvektion, die die durch die einfließende HKL sehr labile Luftmasse (KO-Index tlws. postfrontal < -6!) verdeutlichte. Dann noch für mich persönlich die kleine konvektive Linie, die sich vor Kiel neu bildete. Etwa zu diesem Zeitpunkt beobachtete ich eine sehr beeindruckende Shelfcloud, die aus Südwest auf Kiel zurollte. Abgerundet wurde dies durch den am Nordosthimmel gleichzeitig stattfindenden Sonnenaufgang. Kurz darauf begann es aus dem hinter der Shelf aufziehenden Niederschlagskern zu blitzen und donnern und auf ein kurzes Gewitter folgte ca. 45 Minuten skaliger Regen.

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Hier zog gerade der stärkste Regen über mich hinweg, dahinter brodelten aber direkt kleine Zellen hoch, von denen eine direkt nach Frontdurchzug nordwestlich an der Stadt entlang schrammte, kurz danach eine südlich. Insgesamt wurde die Front nun schwächer.

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Danach kehrt erstmal etwas Ruhe ein. Die Rückseite des ersten Troges überzieht den Norden mit Absinken, eine wolkenarme Zone nähert sich von Westen. Dies kaschiert aber nur mit Mühe und sehr starker NVA, dass da immer noch eine potentiell labile Luftmasse lagert. Der „dry slot“ strömt über Norddeutschland hinweg und zieht noch eine ganze Schleppe bis Irland hinter sich her. Aber wenn es nun weiterhin labil ist, warum reicht es kurzzeitig nicht mal mehr für schwache Schauer? Nun, es ist halt eben nur potenitelle Labilität, d.h. man braucht Hebung, um sie freizusetzen, diese ist aufgrund der erwähnten NVA nicht gegeben, im Gegenteil. Daher kann es auch zunächst einmal keine weitere Konvektion geben. Dies wird sich aber gegen Nachmittag langsam wieder ändern mit Annäherung der zweiten Trogachse. Diese läutet dann den zwiten Teil des Wettertages ein. Zunächst aber die Situation gegen Mittag mit dem 12z-Radiosondenaufstieg von Schleswig.

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Die postfrontale Luftmasse ist in den unteren Schichten recht feucht, etwa ab 700 hPa trocknet die Luftmasse aber recht aprupt ab. Die Hebungskurve verläuft ziemlich parallel zur Temperaturkurve, daher können sich keine großen CAPE und LI-Werte aufbauen, potentiell instabil ist die Luftmasse aber aufgrund des überlagernden „dry slots“ schon. Bemerkenswert ist vor allem die heftige Windzunahme in den unteren Schichten. Ein Setup, welches bei Freisetzung der Labilität durch PVA flache Superzellen möglich machen kann. Gegen Nachmittag zeigt sich die Situation dann wie folgt.

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Mit nachlassender NVA des abziehenden Morgentroges scheint die Sonne in die leicht labile postfrontale Luftmasse, ohne wirklichen dynamischen Antrieb wachsen die Zellen unorganisiert und kurzlebig. Trotzdem reichte es für einige nette kleine Schauer in Kiel. Richtung Nordsee nimmt die Konvektion aber schon wieder zu und beginnt sich auch schon wieder in kleinen Clustern zu organisieren. Die Zelle nordwestlich von Amsterdam wird sich in den kommenden Stunden stetig weiter nach Osten verlagern und dabei eine bemerkenswerte Entwicklung durchmachen. Aber der Reihe nach.

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Gegen Abend befindet sich Norddeutschland immer mehr im Einfluss der Vorderseite des sich annähernden zweiten Höhentroges. Zwischen den beiden Trögen hat sich zudem eine Zone mit starkem Gradienten in der Höhe gebildet. Dass diese auch bis in die mittleren Schichten mit starken Winden durchgreift, haben wir ja schon im Schleswig-Sounding gesehen. Mit dieser Trogvorderseite greift nun wieder verstärkte Hebung auf den Nordwesten Deutschlands über.

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Auf der Vorticityadvektionskarte zeigt sich die lehrbuchhafte Verteilung der Vorticityadvektion innerhalb des Kurzwellentroges. Vorderseitig starke PVA, rückseitig sehr starke NVA, im Kern kaum Advektion. Der dynamische Antrieb verstärkt sich nun also wieder von Westen. Auch in 300 hPa sind die sehr dich gedrängten Isohypsen zwischen den beiden Trogachsen auffällig.

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Dies hat einen verhältnismäßig starken “jetstreak” zur Folge, der genau über den Nordwesten Deutschlands verläuft. Im Winterhlabjahr wäre dies bei weitem nichts Außergewöhnliches, im Sommer ist dies aber schon ein wenig eine besondere Situation.

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Am Morgen hatten wir ja bereits gesehen, dass sich die zweite Trogachse in dem Gebiet der höhenkältesten Luft befindet. Diese hat sie nun auch bis nach Nordwestdeutschland mitgebracht. Die Tiefstwerte erreichten immer noch knapp -25°c in 500 hPa. Folgerichtig daraus ergibt sich wieder eine potentiell labile Schichtung. Allerdings ist diese potentielle Labilität nicht so hoch wie am Morgen. Dies liegt daran, dass am Morgen die kalte Höhenluft sich über die präfrontale Warmluft legte. Dies hatte einen großen vertikalen Temperaturgradienten zur Folge und hohe potentielle Labilität. Nun legt sich die höhenkalte Luft aber “nur” über die kühle, postfrontale Luft, d.h. der vertikale Temperaturgradient ist geringer und die Labilität auch. Der KO-Index ist deshalb auch nur leicht negativ. Allerdings lagert da ja immer noch was in der Höhe.

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Der ungewöhnlich intensive “dry slot” lagert immer noch über Nordwestdeutschland. Wie weiter oben bereits erwähnt sorgt dieser durch die Überlagerung der feucht-milden Bodenluft mit sehr trockener Stratosphärenluft für potentielle Instabilität. Wird diese durch dynamische Hebung freigesetzt wird die Atmosphäre akut instabil. Dies wird nun durch den sich nähernden Höhentrog geschehen. Die Labilität ist also durch Addition dieser zunächst potentiellen Instabilität höher als auf den Karten ersichtlich. Möglicherweise hat dies der Luftmasse den letzten “kick” gegeben um die Entwicklungen möglich zu machen, wie sie wenig später über Hamburg auftreten werden. Im blauen Sektor hat sich unter dem “dry slot” und unter PVA-Einfluss bereits einiges Konvektives gebildet.

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Gehen wir nun in die akute Phase vor dem Hamburg-Gewitter über. Auf dem Radar haben sich mittlerweile mehrere Schauer- und Gewittercluster gebildet, unserer Cluster ist der, der östlich von Emden liegt. Dieser ist aus der Ex-Amsterdam-Zelle entstanden und zieht unter Verstärkung ostwärts auf HH zu. Die tagesgangbedingte Konvektion über Schleswig-Holstein hat sich mittlerweile abgeschwächt.

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Auch im Satbild sieht man, dass sich die Konvektion weiter östlich verlagert. Blau umrahmt ist das gesamte Konvektionsgebiet unter dem “dry slot”, gelb die HH-Zelle.

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Gegen 9 Uhr abends verschärft sich die Situation vor den Toren Hamburgs. Am Südostende des Clusters verstärkt sich nun eine Zelle rasch, sie besitzt bereits einen Kern höchster Radarintensität und sieht auch von der Echostruktur sehr gesund aus. Für den Zeitraum des Zuges über Hamburg wechseln wir nun in den Radaruasschnitt HH/SH.

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Um 21:30 Uhr wird nun endgültig die besondere Stellung der Zelle deutlich. Am Südende des linienförmigen Clusters zieht sie bereits leicht rechts ausscherend über die Hamburger Stadtmitte. Hier zeigte sich im Radar dann eine verdächtige Struktur innerhalb der Zelle.

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Gegen 21:34 Uhr wird auf dem Radar von http://www.wetterspiegel.de (danke für die Erlaubnis der Benutzung!) im Hamburg-Ausschnitt dieses “hook-echo” registriert, welches im groben Wetter-Online-Radar so nicht zu sehen ist. Hiermit verdichten sich neben der exponierten Stellung der Zelle am Südende der Linie und der nach rechts ausscherenden Zugbahn die Anzeichen für eine Superzelle, die da am Abend über Hamburg zog. Aus Hamburg wurde weiterhin von Hagel, heftigem Starkregen und verdächtigen Aufwindstrukturen berichtet. Ein weiteres Indiz ist die im Gegensatz zu den meisten anderen Zellen des Abends lange Lebensdauer der einzelnen Zelle, wie man in den abschließenden Radarbildern sehen wird.

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Über den Osten Hamburgs zieht die weiterhin kräftige und rechts ausscherende Zelle Richtung mecklenburg-vorpommernsche Grenze und dann weiter auf Schwerin zu. Knapp nördlich von Schwerin löst sie sich dann gegen 23:45 auf, d.h. als kräftige Zelle lebte sie fast 3 Stunden lang. Der skalige Regen des Restcluster zieht unter Abchwächung derweil auf Kiel und Ostholstein zu, ein Indiz für das markante Ausscheren der Zelle.

Ob an diesem Abend wirklich eine Superzelle über Hamburg hinweg zog lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, einige Indizien sowie das synoptische Setup deuten aber darauf hin. Von Kiel aus war sie nur als dunkle Masse am Südhimmel erkennbar. Vielleicht kann man ja noch irgendwie Doppler-Bilder hinterherliefern, so bleibt aber nur das abschließende Fazit: vielleicht war es eine Superzelle. ;)

Ein aufregender Wettertag geht damit im Norden zu Ende, wenn man so etwas selbst miterleben kann ist es gleich noch einmal doppelt so aufregend. ;)
Jedenfalls war es ein schönes Beispiel dafür, was passieren kann, wenn ein wenig sommerliche Energie auf ein wenig winterliche Dynamik trifft.

MfG
Jan Hinrich

Quellen:

http://www.wetteronline.de
http://www.wetterspiegel.de
http://www.wetter3.de
http://oiswww.eumetsat.org/IPPS/html/MSG/RGB/AIRMASS/
http://weather.uwyo.edu/upperair/sounding.html


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Verfasst: Mi 5. Aug 2009, 13:29:02 


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BeitragVerfasst: Mi 5. Aug 2009, 19:15:10 
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Registriert: Mi 3. Sep 2008, 23:13:19
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Servus Jan-Hinrich,

schön, einmal wieder etwas von dir zu lesen! Und dann gleich diese ausführliche Doku/Analyse. Es ist wirklich hochinteressant, zu lesen, wie viele Faktoren da hineinspielen und dass man dennoch nicht ganz sicher sagen kann, ob die Zelle bei Hamburg eine Superzelle war. Ich habe sie am Radar auch ein wenig mitverfolgt und mir fiel auf, dass sie relativ lang gehalten hat. Danke für diesen hervorragenden Beitrag! :zustimm:

Alles Gute

Max

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Es gibt immer zwei Gründe für eine Entscheidung, nämlich eine offizielle und eine tatsächliche. Manchmal sind beide gleich, aber oft unterscheiden sie sich weit von einander.


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